Amerikaner haben einen Sicherheitsfetisch. Im Eishockeystadion ertönt alle paar Minuten eine Durchsage, dass die theoretische Möglichkeit besteht, dass der Puk das Feld verlässt und jemanden im Publikum gefährden könnte. Prepper reiten auf einer Welle der Nachahmer und der Euphorie - inklusive eigener Reality TV-Show. Auf dem Campus sind überall Designated Tornado Safe Zones ausgeschildert und der Campus verfügt sogar über einen eigenen Atomschutzbunker. Und auch die Verliebtheit der Amerikaner in ihre Waffen ist letztlich wohl auf dieses Bedürfnis nach Sicherheit zurück zu führen.
Doch es gibt ein Problem, das diesem Sicherheitsdenken entgegen steht: Amerikanische Großstädte sind keine sicheren Orte. Da macht auch Cincinnati keine Ausnahme: Bis 2005 konnte man einer Statistik entnehmen, das eine bestimmte Gegend im Norden von Over-the-Rhine die gefährlichste Nachbarschaft der USA sei und die Cincinnati Riots von 2001 sind eine der schlimmsten Ausschreitungen in der Geschichte der USA. Auch wenn sich Cincinnati (und v.a. Over-the-Rhine) in den letzten Jahren teilweise radikal verbessert hat, bleibt der Grundsatz bestehen: Amerikanische Großstädte sind nicht sicher.
Dieser Widerspruch zwischen Sicherheitsfetisch und unsicherer Umgebung führt zu ganz interessanten Auswüchsen. So gab uns zum Beispiel eine Professorin am Orientation Day den praxisnahen Tip, doch einfach nach zehn Uhr abends das Haus nicht mehr zu verlassen. In Chicago riet die Kellnerin uns, wir sollten uns ausschließlich mit dem Taxi fortbewegen. Die allgemeine Erwartung scheint zu sein, dass man nachts außerhalb eines Autos in jeder amerikanischen Großstadt umgehend erschossen wird.
Ich kann meine Leser beruhigen: So ist es nicht. Der Konflikt zwischen amerikanischem Sicherheitsbedürfnis und der Großstadt-Realität führt vor allem zu einem: unbegründeter Angst. Wir sind in Chicago sowohl in der Nacht um zwölf U-Bahn gefahren wie wir auch in Cincinnati in der Dunkelheit das Haus verlassen haben. Und jeder von uns lebt noch.
Dennoch ist Arroganz natürlich unangebracht - man muss sich durchaus anders bewegen, als in europäischen Großstädten (und vor allem als in München). So ist es kein Zufall, dass bisher ausnahmslos von "uns" die Rede ist. Alleine die Nachbarschaft im Dunkeln zu erkunden oder einen längeren Heimweg anzutreten ist nicht empfehlenswert, wenn man Wert auf seine Habseligkeiten legt.
Tagsüber allerdings kann man sich in Campusnähe dagegen sorglos bewegen, auch durchaus alleine. Den Unterschied zwischen den Gegenden der Stadt spürt man dennoch. So liegt zum Beispiel die beste Einkaufsmöglichkeit für UC-Studenten zwar direkt neben dem Campus - aber in einer Gegend die man nach Einbruch der Dunkelheit meiden sollte. Das Einkaufserlebnis ist somit ziemlich einzigartig: Hinter den Supermarkt-Kassen steht fast ständig ein (selbstverständlich bewaffneter) Polizist und auch die Kundschaft ist teilweise, nun ja, interessant. In und vor allem vor dem Laden. Wer sich hiervon ein genaueres Bild machen will, dem sei diese Review-Seite ans Herz gelegt. Zumindest wenn man selbst dort einkauft, hat sie einen durchaus hohen Unterhaltungswert!
Letztlich gewöhnt man sich aber schnell an die Umgebung. Man weiß wie man sich fortbewegen sollte, wenn man alleine oder in der Gruppe unterwegs ist - und wann man nicht mehr mit sich führen sollte als Ausweis und Bargeld. Und schon kann man in amerikanischen Großstädten nachts mindestens soviel Spaß haben wie überall sonst auf der Welt.
Ich werde jedenfalls weiterhin das Haus nach zehn Uhr abends verlassen. Und sollte ich das nur machen, um mir ein Eis bei Graeter's um die Ecke zu holen, dann auch allein. Alter, bin ich badass...