Sonntag, 28. April 2013

Thumbs up! Das amerikanische Gesundheitssystem.

Es gibt Dinge, die sind nicht besonders klug und manche machen sie trotzdem: Teller anfassen, von denen man weiß, dass sie heiß sind. Silvester-Feuerwerk aus der Hand abfeuern. Bei 1860 München investieren. Seinen Zimmergenossen hochheben und mit ihm in den Armen über steinharten Asphalt sprinten.
Letzteres jedenfalls ist das jüngste aus dieser Reihe, was sich in meinem Leben zugetragen hat. Einen Sturz später stellte ich perplex fest, dass mein Daumen überhaupt nicht mehr dort war, wo er eigentlich hingehört, sondern circa einen Zentimeter nach oben und einen halben Zentimeter nach links verrückt. Nach 30 Sekunden starren und überlegen, ob nicht vielleicht alles nur Einbildung ist, fasste ich den Entschluss, meinen Daumen und das zugehörige Gelenk wieder zu vereinigen.
Damit war (nicht besonders überraschend) die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Bereits als ich wenige Stunden später zuhause in meinem Zimmer war, hatte mein Daumen ungefähr die dreifache Größe angeschwollen. Auf dem Foto aufgrund schlechter Qualität leider nur zu erahnen. Als ich am nächsten Tag aufwachte, kam zu der Schwellung noch ein reiches Sammelsurium an Farben hinzu: rot, pink, blau, grün, lila und ein bisschen schwarz. Während ich die Transformation meiner Hand in ein Kaleidoskop durchaus interessant fand, so war ein Arztbesuch doch eventuell nicht die schlechteste aller Ideen. Zumal einem erst wirklich auffällt wie häufig man seinen rechten Daumen braucht, wenn man ihn nicht benutzen kann…
Doch wohin sollte ich gehen? Es war Samstag und das Health Center auf dem Uni-Campus, eigentlich erste Anlaufstelle, war geschlossen. So war ich auf einmal ein Teil des wunderbaren amerikanischen Gesundheitssystems. Auch ein Element aus der Reihe „nicht besonders klug, aber manche machen es trotzdem“.
Zunächst wusste ich nicht, wofür meine Versicherung (Pflicht als Student der University of Cincinnati) denn abseits des Campus aufkommt, weswegen ich eine Dame des international office kontaktierte. Die sind in solchen Fällen meist der Ansprechpartner. Die wusste es allerdings auch nicht und regte sich nur darüber auf, dass das Health Center nur zu Bürozeiten arbeitete. Sie hat mir schließlich empfohlen, nicht in die Notaufnahme zu gehen, weil „it’s expensive there. Too expensive“. Danach nannte sie mir eine Art Tagesklinik-Kette, deren „Filialen“ allerdings nur aus einem Arzt bestehen. Die seien günstig. Auf der Internetseite dieses Gesundheitsdienstleisters werden 38 (!) Versicherungen gelistet, die akzeptiert werden. Wie man allein an der Zahl der akzeptierten Versicherungen ablesen kann, ist der Markt sehr unübersichtlich. Viele Programme sind lokal und werden sogar nur in einer Stadt angeboten. Dementsprechend ändert sich die Liste nicht nur von Staat zu Staat, nein auch von Stadt zu Stadt. Und jeder Plan ist anders aufgebaut. So funktioniert zum Beispiel die Versicherung von Freunden aus einem anderen Austauschprogramm so, dass jeder Arztbesuch pauschal 55$ kostet, aber damit alles abgedeckt ist.
Wie auch immer, meine Versicherung war Teil dieser Liste. Was mir eigentlich nicht wirklich weiterhalf, denn ich hatte keine Ahnung was das bedeutet. Ein garantierter Zuschuss? Medikamentenkostenübernahme (Meine Fresse sind deutsche Wörter lang...)? Übernahme sämtlicher Kosten? Ich habe also meine Kreditkarte eingepackt und war auf alles gefasst.
Die „Klinik“ lag vertrauenserweckend in einem großen Lebensmitteleinzelhandel (ernsthaft, waren deutsche Wörter schon immer so lang?). Zudem war sie auf der anderen Seite des Ohio River in Kentucky gelegen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen. Zum Glück kenne ich inzwischen schon ein paar Leute, die über Autos verfügen.
Nach einem langwierigen Check-In fiel der Belegschaft der Praxis auf, dass sie über kein Röntgengerät verfügen. Das machte meinen Besuch in ihren Augen nicht unbedingt sinnvoll. Also wurde ich weiter geschickt zu einem „urgent care“-Doktor tiefer in Kentucky. Der hatte ein Röntgengerät. Noch einmal anmelden, Formulare ausfüllen, warten. Zum Glück war mein Fahrer sehr geduldig.
Nach einigen Röntgenbildern und einem sehr unangenehmen „auf-geschwollenen-Stellen-Rumgedrücke“ seitens des Arztes wurde festgestellt dass nichts gebrochen ist (wenn auch Mikro-Frakturen nicht unwahrscheinlich sind), mir eine Bandage angelegt und ein schwellungs- und schmerzstillendes Medikament verordnet, das stark genug ist, um in zwielichtigen tschechischen Bars als Aperitif gereicht zu werden. Bezahlen musste ich nichts. Anscheinend ist meine Versicherung nicht allzu schlecht. Oder in den nächsten Tagen bekomme ich eine Rechnung. Ich bin mir nicht sicher.
Nachdem ich mir in der Apotheke um die Ecke zwischen Milch, Dosensuppen und 100er Packungen Aspirin für 99Cent (ja, amerikanische Apotheken sind etwas anders) das verschriebene Präparat herausgesucht hatte bin ich nach einigen Stunden und einer Reise die wohl von München bis zu den Alpen reichen würde wieder nach Hause gekommen. Die nächsten Tage muss noch kühlen.
In Zukunft sollte ich aufpassen, dass ich mich nicht mehr verletze. Und wenn, dann nur zu Bürozeiten.

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